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Zum Verhältnis von Vision und Text

Bei verschiedenen Kommentatoren finde ich allerlei Theorien und Mutmassungen, wie die Texte der Apokalypse zustande gekommen sind. Da wird vom religiösen Schriftsteller gesprochen, der die Apokalypse als literarische Gattung komponiert haben könnte, oder vom Seelsorger, der die verfolgen Gemeinden mit Bildern des letztendlichen Sieges trösten will usw. ...
Auch wenn vieles in der Johannesoffenbarung den Anschein des Konstruierten oder neu Komponierten macht, so will ich das Moment der Schau und der Audition, wie das Johannes beschreibt, doch ernst nehmen. Wer den Text auf solche Passagen hin untersucht, wird feststellen, wie differenziert Johannes darlegt, ob er im Geiste sieht oder hört oder bisweilen überfordert ist, das Vernommene in Worte zu kleiden. Darum will ich den Selbstaussagen des Apokalyptikers folgen und sein Werk als Prophetie sehen, die im Geiste geschaut und gehört worden ist.

Meines Erachtens schliessen Vision und Konstruktion einander nicht aus. Schauungen verändern ihre Gestalt, wenn sie in Worte formuliert werden müssen. Grosse Geister sind aber dem Element des geistlichen Schauens so nahe, dass sie selbst im rekonstruierenden und komponierenden Schreiben als Schauende die Feder führen.
Um den Zusammenhang von Vision und Reflexion besser verstehen zu können, versuche ich ich anhand eigener Erfahrungen mit der Niederschrift von Träumen die Übergänge vom Bilderleben zum formulierten Text zu beobachten. Das Wort und die Schau haben ein gemeinsames höheres Leben, aus dem beides, das Schauen wie auch das Formulieren, kommt. Darum kann die Schau ins Wort gebracht werden wie auch das Wort die Schau wieder erzeugen kann.
Ich veranschauliche mir diese Übergänge anhand eigener Traumerfahrungen, welche ich der Verständlichkeit halber in Phasen aufteile:

1. Träumen mit teils beobachtender, hinterfragender, reflektierender Anteilnahme
Kürzlich träumte ich eine längere, vielschichtige und komplexe Bilderfolge. Noch im Traum hatte ich kurze Phasen der Aufmerksamkeit, wo ich mir bewusst war, dass ich träumend für mich wichtige Bilderfolgen erlebe, ja in sie hinein genommen bin. Ich versuchte diese und jene Bilderfolge halb schlafend, halb wachend zu rekonstruieren. Das gelingt mir teilweise gut, ich sehe die geträumten Szenen vor mir, erinnere mich an Bildfolgen davor ... und dann träume ich aber weiter ... das kann sich mehrmals wiederholen.

2. Aufwachen und Erinnern
Irgendwann beschliesse ich, dass nun der Zeitpunkt da ist, das Ganze aufzuschreiben (ich habe früher einmal im Traum rekonstruiert und aufgeschrieben - real war dann zu meiner Enttäuschung und Ernüchterung kein Eintrag in meinem Heft). Wenn ich noch halb liegend, direkt aus dem Schlaf schreibe, sind mir die Bilder noch präsenter. Ein starker Traum aber, der sich tief in die Seele einprägt, bleibt auch im Wachen noch gegenwärtig. Die Seele ist quais schwanger davon. Ich sehe die Bilder, spüre ihre Kraft, ihre Stimmungen ...   Aber je mehr das Alltagsbewusstsein dominiert und die Aufmerksamkeit auf Alltagsfragen eingeht, desto eher können die Bilder verblassen, an Kraft verlieren und in den Hintergrund treten.   Es kann auch sein, dass gewisse Passagen einfach aus der Erinnerung fallen und nicht mehr erreichbar sind. Auch lässt sich beobachten, wie die Erinnerung an Reinheit und Klarheit abnimmt und wie sich dann Interpretationen und Assoziationen an die Träume hängen, die sich aus der Alltagserfahrung, aus der Vernunft oder gar aus Wüschen und Tagträumen dazu gesellen und sich mit den Nachtträumen vermischen.

3. Das Aufschreiben
Nun waren da Träume, Traumphasen, Bilder oder Stimmungen, die beim Aufschreiben sich als komplexe Inhalte, als reichhaltige Pakete der Seele entpuppten. Die Feder gleitet zügig über das Papier, um die Fülle der Informationen zu ordnen und in Sätze zu bringen. Erinnerungen, Details und Seitenzweige tauchen beim schreibenden Durchleben der Bilder wieder auf. Bei dieser oder jener starken Bilderfolge schreibe ich zwei, drei Seiten und merke, dass noch immer vieles fehlt.
Was aber bei dem Schreibprozess besonders spannend zu beobachten ist, hat mit der Qualität, der Übereinstimmung von Text und Traum zu tun. Die erlebten Bildfolgen können schreibend durch die Texte im Bewusstsein rekonstruiert werden. Die Bildfolgen mit seinen Gefühlen gerinnen quais in Texte, in Wortfolgen. Sie befruchten den Textfluss, leiten und lenken ihn. Sie sind Inspirationsquellen, auch Antrieb zum Schreiben, zur willentlichen Realisierung der Texte. Und ich bin da oft verblüsst, wie zügig ich schreibe, dass aus einem Traumbild auch Reflexionen kommen, die ich aus dem Alltag nicht vollziehen könnte. Ich habe schon an Träume anschliessend philosophische und theologische Gedanken angestellt, die ich mit einer gewissen Dankbarkeit, Verblüfftheit und Beflügelung niederschrieb. Da gibt es dann aber auch eine Übergangszone, wo andere Erinnerungen, Erkenntnisse, Traditionen usw. sich mit den Träumen vermischen. Die aufgeschriebenen Träume speichern die realen Traumbilder, aber zeigen auch die Bildung und die Interessen, die geistliche Herkunft des Autors.

4. Vom Lesen und Vorlesen, vom Erzählen der Träume
So lebt in den Texten viel von der Traumrealität der Traumbilder und deren Gefühle, aber eher für den, der die Träume selber erlebt hat. Doch auch Aussenstehende können die Träume auf Grund der Texte nacherleben, wenn sie darin lesen. Stärker aber lässt sich an den Träumen anderer teilhaben, wenn die betreffende Person ihre Träume selber erzählt, wenn sie mit Stimme, mit Tonfall und körperlich wahrnehmbarer Geste des Erinnerns die Bilder zu Worte bringt. Dann wird das Wort eher wieder Fleisch, wird Mensch.
Wenn mir jemand einen Traum erzählt, schliesse ich zwischendrin die Augen. Mehr noch als durch gelesene Texte kann ich durch die im Sprechen wahrnehmbare Seelenstimmung Anteil nehmen an dem Traum.
Darum soll die Apokalypse vorgelesen werden: «Selig der, welcher vorliest und die, welche hören die Worte der Weissagung und bewahren, was in ihr geschrieben steht; denn die Zeit ist nahe.»

5. Die geistige Dimension im Visionstext
Was geschieht, wenn ein erlebter Traum zu Text gerinnt und als Text wieder gelesen wird? Der lebendige Traum ist in der Seele und wird ganzheitlich von einem Menschen mit allen Sinnen durchlebt. Der Text aber ist ein Wortfolge auf Papier, als solcher tot und erste durch die Lektüre eines Menschen wieder verlebendigt. Was nun ist das aufgeschriebene Wort, das strukturelle Extrakt des Logos, im Verhältnis zum Traum? Um auf diese Frage eine Antwort zu erhalten, muss man den Logos im Traum gewahren, so wie er sich enthüllt und betätigt im denkenden Rekonstruieren und Nacherleben der Träume. Wird der Traum beim Aufschreiben in logische Gedankenformen gebracht, so bringt man zum Traum nicht etwas Fremdes hinzu, sondern betätigt denkend und schreibend das den Traumfolgen einwohnende logische Leben, den geistigen Anteil der Bilder, der im Ich willentlich extrahiert und betätigt werden kann und wie der Schlüssel zur Anteilnahme und bleibenden Erinnerung und lebendigen Vergegenwärtigung der Erlebnisse ist.
(2. Sept. 05, 9 Uhr)

Ergänzung 1 vom 18.7.06: Der Logos der Apokalypse
Was folgert daraus für die Vision des Johannes? Wir können seine Offenbarungen lesen, ihm zuhören, und dabei die Bildfolgen in der Seele erleben mit eigenen seellischen Gefühlsqualitäten und Empfindungen. Die innern Erlebenisse werden geweckt vom Text, der für uns mehr oder weniger angemessen übersetzt worden ist und in uns wieder zum Leben kommt – 2000 Jahre später in einer völlig anderen Welt- und Verstehenssituation.
Die Apokalypse ist in vielem den Träume vergleichbar. Sie ist keine rationale Darlegung, die wie ein mathematischer Lehrsatz über Jahrtausende gleichermassen logisch nachvollzogen werden kann. Sie ist auch nicht eine Lehre mit ethischen oder weisheitlichen Lebenserfahrungen, die ebenso über Zeiten und Kulturen hinweg mit der eigenen Erfahrung in Beziehung gebracht und bestätigt werden kann. Am Logos der Apokalypse hängen nicht einfach intellektuelle Schlüsse oder empirische Lebenserfahrungen. Der Logos der Apokalypse ist Extrakt einer «ganzheitlichen», einer bildhaften, emotionalen, physischen, auditiven, visionären usw. Erfahrung, darin sich kosmologische und religiöse Elemente des alten Orients weiter tradieren zu einer neuen christozentrischen Weltschau.
So frage ich mich wie auch bei gewissen Träumen: Was soll dieses phantasitische Bilderlebenis? Wozu schreibe ich das auf? Was hat das mit meiner wohl geordneten Welt- und Weltsicht zu tun.
Die moderne Theologie hat sich darauf konzentriert, die Elemente dieser Visionen historisch einzuordnen. Das ist eine wichtige Arbeit, ein nötiger Beitrag. Der Logos dieses fremdartigen Buches erhält somit eine geschichtliche Einordnung. Doch damit ist die Aussage dieses Logos noch nicht ausgekostet. Die Apokalypse will in uns nachvisioniert werden, so wie ich den Traum, den mir jemand erzählt, lebendig nachzuerleben versuche.
Denn der Anspruch der Apokalypse ist der, dass der Menschensohn selbst sich in Johannes bekundet und in ihm Bilder offenbart, welche etwas über den weiteren Gang des siegreichen Wortes Gottes, des Logos (Apk. 19,13), sagen. Die Bilder zeigen die Wirksamkeit des Logos durch die Zeitenen – bei den Menschen, Völkern und Naturreichen bis zur Verwandlung der alten Schöpfung.
Aber die Apokalypse kommt in ihren Worten so unlogisch daher, dass man geneigt ist, ihr mit der Logik auch ihre Logoshaftigkeit abzusprechen. Dazu ist zu sagen: Unsere wohlgeordneten, verständlichen Sätze sind kommunikativ und allgemein verständlich dadurch, dass wir sie anhand der selber beobachteten oder erfahrenen Feststellungen formulieren, also auch dem uns auf Erden möglichen Sinnes- und Gemütserfahrungen. Sobald wir aber, wie im Traum, noch in andere Wirklichkeiten eintauchen, wo die Seele selber andere Möglichkeiten der Wahrnehmung und des Erlebens erfährt, erhalten wir genau so scheinbar unlogische Formulierungen und Geschichten. Das wunderbare aber ist, dass wir vor diesen Bildergeschichten nicht resignieren müssen, uns nicht blind darin treiben lassen müssen. Der innere Logos, der im Ich das Selbstbewusstsein erzeugende Mensche, der Erwachende, er kann auch gegenüber diesen Träumen eine Kraft des Erinnern, des Ordnens und des Nacherzählens erzeugen. Er kann diese Bildwelt assimilieren, das Ich ist Hegemonikon, der zusammenfassende Führer, wie Origenes den eingeborenen Logos nennt.
Kann nun im Nacherleben der Geist der Offenbarung, der sich in Johannes mitteilende Logos, in uns sein Leben und Wirken mitteilen, uns Anteil geben an seinem Sein, Leben und Wollen? Suche ich da zu weit, wenn ich im Schriftduktus der Johannesoffenbarung meine, direkt mit dem weltverwandelnden Logos, dem A und O, zu kommunizieren?
Ein gefährliches Unterfangen, das noch der kritischen Analyse bedarf. (Di., 18.7.06)

Wenn ich aus dem Lesen und Erleben der Johannesoffenbarung eine Kommunion mit dem Vollender, dem A und O, dem wirksamen Logos suche, dann muss diese Bildwelt im Ich umgewandelt werden in aktuelle Schau, und zwar Kraft vieler anderer Inhalte wie historischer Erkenntnisse oder eigener, aktueller Lebenserfahrung. Das wäre dann eine fast kontemplative Deutung. Eintauchen in die antike Bilderflut, darin leben und Kraft des Logos, der diese Bilder damals und jetzt schaft, den geistigen Gehalt extrahieren. Dieser geistige Gehalt wäre der Schussel für die historische Kritik, wie auch für eine systematische Reflexion, welche die Aussagen für die Gegenwart übersetzt. Ob ich mich da versteige? (31.7.06)

 

 
 
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