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Der Beitrag der Psychologie

Hinter den theologischen Inhalten und Bildern der Johannesoffenbarung stehen seelische Erschütterungen, innere Erlebnisse und Bilder. Diesen seelischen Anteil haben die Exegeten immer gesehen. Aber erst in der Neuzeit, dann vor allem mit dem Aufkommen der Psychoanalyse S. Freuds und der Tiefenpsychologie C. G. Jungs im 20. Jahrhundert, begann man diese seelischen Aspekte und Kräfte der Schauungen zur Erklärung der theologischen Inhalte heranzuziehen. Dabei kann die Psychologie als Hilfswissenschaft der Theologie gute Dienste leisten – oder aber die Psychologie tritt als autonome Wissenschaft auf, bisweilen sogar mit dem Anspruch einer Leitwissenschaft (Drewermanns psychoanalytische Interpretation), mehrheitlich aber als Weltanschauung (als populäre Esoterik).
Die eigentlich psychologischen Erklärungen zur Apokalypse stützen sich dann meist auf eine psychologische Schule, die mit ihren Mitteln das Ganze des Lebens zu deuten beansprucht. Psychologie tritt an die Stelle der Theologie und übernimmt die Aufgabe, den Sinn der apokalyptischen Bilder zu erklären, sofern sie etwas zur Entwicklung des Menschen beitragen. Mit psychologischen Ableitungen werden oft auch destruktive Teile der Apokalypse erklärt und je nach Zielsetzung abgelehnt oder zur Sinn- und Selbstdeutung geführt (Integration der dunkeln Seiten).

Die Psychologie Sigmund Freuds: Von der Psychoanalyse zur Ich-Psychologie und Logotherapie
Gemäss Freuds Psychologie ist das «Ich» dreifach bedroht: von der Aussenwelt her, von der Libido des Es (Unterbewusstsein) und von der Strenge des Über-Ich (verinnerlichte Normen). Freud suchte die Versöhnung dieser Kräfte durch die vermittelnde Tätigkeit des Ich, indem er sich vor allem den Kräften des Unbewussten annahm, wo in verdrängter Sexualität und in den Erfahrungen der Vergangenheit der Kern von Neurosen liegt. Die unbewussten, zur Natur des Menschen gehörenden Antriebskräfte können zu positivem, lustbetontem Leben führen. Anna Freud, die Tochter, hat in den USA die Ich-Psychologie des Vaters zur lange herrschenden psychologischen Weltanschauung gemacht.
Durch die Sozialwissenschaften erweitert erfuhr Sigmund Freuds Psychoanalyse in den 60er-Jahren eine weitere Umformung. In der Frankfurter Schule (Herbert Marcuse) wurde sie zu einer eigentlichen Theorie der menschlichen Natur, Kultur und Geschichte, deren Sinn es sein sollte, das Bewusstsein der Menschheit als Ganzes auf eine neue Stufe im historischen Prozess der Menschwerdung zu heben. Hier führen Linien weiter zur politisierten Kirche in den Jahren 1960 bis 1990 (Dorothee Sölle, Jürgen Moltmann), zu den kommunistischen Annäherungen an das Christentum (Leszle Kolakowski, Ernst Bloch, ...) und zu der praktisch wirksamen «Logotherapie» von Victor Frankl, der «Dritten Wiener Schule» (nach Freud und Adler). Diese Therapie, auch Existenzanalyse genannt, will zur Anerkennung der ursprünglichen geistigen Dasenseinsproblematik im Verhältnis zu den unbedingten Realitäten führen.
Diese eher materialistischen Wissenschaftsansätze haben –  so weit ich sehe –  zur Auslegung einzelner Bilder der Apokalypse wenig beigetragen, hingegen waren sie besonders fruchtbar in der Aktualisierung der christlichen Eschatologie als ganzer, etwa in der Erinnerung an das im geschichtlichen Prozess wachsende Reich Gottes, das als kommendes Reich von uns Menschen eine innere und äussere Mitarbeit fordert: innerlich die Arbeit an der bewussten, freien Persönlichkeit, der Selbsterkenntnis, äusserlich den Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden, dem politischen Engagement. (frei nach Angaben von erich buchholz)

Die Tiefenpsychologie Carl Gustav Jungs: Archetypenlehre für Theologie und Esoterik
Im Gegensatz zu Freud sah C.G. Jung in der Neurose ein wertvolles Stück unentwickelte Seele, und die Heilung der Neurose als letztlich religiöses Problem. Auch nach Jung haben die seelischen Leiden ihre Ursache meist in einem abgespaltenen Unbewussten, in einem Komplex. Durch den gestalteten und geführten Akt der Assoziations- und Traumarbeit kommt ein neuer Prozess der Sinngebung in Gang, durch den die Dinge aus der Möglichkeit des Unbewussten in die Wirklichkeit des Bewusstseins überführt werden. Der gestaltende Sinn wird vom überragenden Sinn des Unbewussten getragen, «dem alles Gestaltende entstammt und in das es wieder eingeht».
Das Unbewusste, das Jung dem Ich als dem Zentrum des Bewusstseinsfeldes gegenüber stellt, enthält das persönliche Unbewusste (Summe aller persönlichen Eindrücke) wie auch Teile des kollektiven Unbewussten, die Archetypen. Sie zeugen von dem, was nicht individuell erworben ist, sondern von ererbten Eigenschaften, auch Antrieben und Instinkten. Instinkte und Archetypen bilden das kollektive Unbewusste, das allgemeine und menschheitliche Inhalte anzeigt.
Jung ist der Meinung, dass die Erforschung des christlichen Wesens, der alchemistischen Symbolik und der Mythologie überhaupt nicht nur für das Verständnis der Neurosen hilfreich ist, sondern darüber hinaus einen Teil des Lebensgeheimnisses erschliesst. (frei nach Angaben von erich buchholz)

Würdigung und Kritik der Jungschen Archetypenlehre: C. G. Jung will im Kosmos der Universität bleiben und versucht, seine Arbeit als Wissenschaftler mit seinen religiösen, ja mystischen und hermetischen Interessen zu verbinden. Seine Tiefenpsychologie ist keine neue Metaphysik, aber sie kann in der Praxis die Rolle einer nachkantischen Metaphysik oder therapeutischen Religion übernehmen. Dabei ist das Absolute (das die Welt und das Bewusstsein prägende und erfassendes Wesen) nicht der Gedanke, nicht die reflektierende Vernunft. Das Absolute ist für den Menschen nur in seinem Unterbewusstsein wirksam und auffindbar und wird in Anlehnung an einen platonischen Begriff in seiner Letztwirklichkeit «Archetypus», Urbild, genannt. Das Urbild ist nun aber nicht mehr wie bei Platon im Gedanken selbst, in der Logik der Vernunft, erfasst, sondern waltet im Unbewussten, aus dem heraus es sich in Träumen, Visionen, Schauungen, Antrieben und Bildern dem Bewusstsein präsentieren kann. So wird die Seele selbst zum Himmel und zum Offenbarungsbuch. Die alte Metaphysik, welche die Urbilder für real nimmt und sie in einer anderen, jenseitigen Welt lokalisiert, wird hier abgelösst von einer Metaphysik, welche die Urbilder als Grund der Seele postuliert und bloss deren Manifestation gewahrt und diese rational und psychologisch erforscht.
Die Annäherungen Jungs an die Psychologie im Dritten Reich Hitlers sind begleitet von einer Tendenz, die Seele als Träger der Urbilder genetisch bedingt zu erklären, sie von Blut und Vererbung abhängig zu machen. Von dieser «Blut- und Boden - Metaphysik» haben sich die Epigonen Jungs grösstensteils distanziert, doch es bleibt die Frage offen, woher die Seele ihre Imprägnierung durch die Urbilder erhält. Die im Wissenschaftskosmos operierenden Jungianer lassen diese Frage offen, andere, eher freie und esoterische Interpreten finden im Werk Jungs selbst Antworten auf die offene Frage. Die Lehren der Präexistenz der Seele, die Jung nur als seelisches und kulturelles Phänomen beschrieben hat, übernehmen sie in das Weltbild der Tiefenpsychologie und binden die Archetypen damit an den Kern des Menschen an, an sein höheres Selbst. Die ersten Vertreter Jungs halten seine wissenschaftlichen Ambitionen aufrecht, die anderen folgen den religiösen und mystischen Aspekten seines Werks.

Der Tiefenpsychologische Beitrag zur Auslegung der Johannesoffenbarung: C. G. Jungs Tiefenpsychologie bietet in vielem ein Schlüssel zur Apokalypse, der bestechende Vorteile bietet. Fürs erste kann die ganze Offenbarung in seiner religiösen Wucht nüchtern als eine seelische Äusserung betrachtet werden. Es entfällt jeglicher konfessionalistische oder religiöse Offenbarungsanspruch. Die Schauungen sind ein psychisches Phänomen mit historischer Bedeutung und sozialer wie auch psychologischer Wirksamkeit. Die Erklärung der einzelnen Bilder muss nicht primär mit überlieferungsgeschichtlichen Mitteln durch Vorbilder im religionsgeschichtlichen Umfeld rekonstruiert werden, wie die Theologie das seit der Neuzeit akribisch zelebriert, um den religiösen Anspruch der Bilder als zeitgeschichtliches Dokument zu relativieren. Die Tiefenpsychologie kann von Anfang an direkt auf den Bedeutungs- und Sinngehalt der Bilder hinzielen, da sich in den Schauungen allgemein menschliche und global bezeugte Urbilder manifestieren, welche der Ganzwerdung des Menschen dienen. Was damals durch ausserordentliche Belastungen in der Seele eines Sehers manifest geworden ist, hat auch uns etwas zu sagen auf dem Weg zum Selbst.
Von Anfang an ist der Zugang zur Apokalypse hier menschheitlich geöffnet und doch für das Individuum relevant. Die Erklärung wird nicht konfessionalistisch für die eigene Gruppe gedeutet, auch nicht einer relativierenden Theologie untergeordnet. Das macht die tiefenpsychologische Analyse der Apokalypse wertvoll wie auch wirksam.
Die meisten esoterischen Auslegungen der Johannesoffenbarung bedienen sich mehr oder weniger bewusst den Vorteilen der tiefenpsyhologischen Betrachtungsweise. (Do., 3. August 2006)

 

 
 
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