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Der literarische Stil der Apokalyptik

Die Offenbarung des Johannes gehört wie das Danielbuch zur Literaturgattung der «Apokalyptik».
Im Folgenden werden einige Elemente aufgeführt, welche diese literarische Gattung charakterisieren. Der literarwissenschaftliche Vergleich dieser Elemente anhand verschiedener Apokalypsen trägt einiges zum Verständnis der Johannesoffenbarung bei. Die folgenden Ausführungen sind im Wesentlichen eine Zusammenfassung aus dem Werk von Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis, Göttingen 1906.

Corrodi (Geschichte des Chiliasmus, 1781) hat nachgewiesen, dass die Apokalyptik nicht nur eine spätjüdische und frühchristliche Erscheinung ist, sondern in einer zusammenhängenden Kette von Erscheinungen bis in die Reformationszeit hinein reicht. Sie reicht wohl auch bis in die Gegenwart.

Einige Grundideen und Lehren der apokalyptischen Eschatologie sind:
- Die Lehre von den beiden Weltaltern (Äonen)
- Die Lehre von der Nähe des Weltendes
- Totenauferstehung und individuelle Vergeltung
- Herrschaft des Teufels in dieser Welt und Vernichtung seiner Herrschaft am Weltende
- Weltgericht
- Welterneuerung
In der Apokalypse des Johannes sind alle diese Elemente «in die neutestamentliche Frömmigkeit als deren Grundbestandteil übergegangen» (WB).

Vergleich der Apokalyptik und der alttestamentlichen Prophetie:
Alttestamentliche Prophetie: Primär als gesprochenes oder geschriebenes Wort
(Jeremias); das Bild hat eine sekundäre Rolle; der Prophet hört und verkündet Jahwes Wort
Apokalyptik: Das Bild (Traum, Gesicht, Vision, …) steht an erster Stelle (klarster Vertreter ist Johannes). Der Apokalyptiker schaut und erzählt die Vision.
Die Apokalyptik bewegt sich vom einfachen Traumgesicht hin zur wirklich visionären, ekstatischen Erfahrung mit Ortsveränderung (Ezechiel 8,3 nach Jerusalem; II. Kor. 12,3 in das Paradies), zur visionären Entrückung.
Die Johannesoffenbarung kennt keine eigentliche Himmelfahrt, aber der Seher wird im Geist an verschiedene Orte entrückt (Himmel, Wüste, hoher Berg, ...). «Im ist die Entrückung Mittel zum Zweck» (WB).
Charakteristisch sind auch die Offenbarungsmittler zwischen Gott und dem Seher, in der Regel ein nicht näher bestimmter Engel, der die Stellvertretung Gottes übernimmt («da Gott nach spätjüdischer Vorstellung nicht mehr selbständig bei dem Offenbarungsvorgang eingreift» (WB).
Die Engel treten auf als Deuter, wie schon bei Sacharia oder Dan. 4,10; 8.16. Ein Engel ist da als Begleiter des in den Himmel fahrenden Sehers (bei der Baruch-Apokalypse ist es Gott, der deutet).
In der Offenbarung des Johannes ist es zuerst Christus selbst, der erscheint und die Bilder deutet. Der in Apk. 10,1 erscheinende Engel hat nur vorübergehende Bedeutung. Einer der Schalenengel deutet hingegen das Gesicht von der Hure Babylon (17,1) und dem neuen Jerusalem (21,9). Eventuell ist das auch der Engel, vor dem Johannes niederfällt (Apk. 19,9 und 22,6, 1,1).
«Sicherlich aber hat in der Gesamtanschauung des Apokalyptikers die Person Jesu und die Vorstellung vom Geist als dem Träger ekstatischer Erfahrungen den Offenbarungsengel verdrängt. An beiden Punkten zeigt sich der Einschlag spezifisch christlicher Vorstellungen» (W.B.).
Die farbenprächtige Ausmalung des Offenbarungsengels oder des selbst erscheinenden Gottes (Ez. 8, Dan. 10, II Henoch 1) ist in der Apokalypse des Johannes reduziert, in Apk. 1,12ff. erscheint Christus, in 10,1ff. wird der Engel in wenigen Sätzen charakterisiert.


Die apokalyptischen Visionen und Bilder

Bousset unterscheidet zwei Hauptgruppen weissagender Vision:
a.) Schilderungen dessen, was der Seher in seiner Ekstase sieht, wie Ez. 8 (ursprünglich Beiwerk, mit der Zeit aber immer mehr im Vordergrund, wird Selbstzweck, z.B. Henoch)
Darstellende Visionen der Apokalypse finden sich in den Teilen: 1,12ff., 4-5, 6,9ff., 10,1ff

b.) Bilder, welche die Zukunft enthüllen
b.a.) Visionen, welche die Zukunft beschreibend darstellen
- der zum Weltgericht erscheinende Gott (Daniel)
- die Schilderung der Martyrer vor Gott (Apk. 7,9ff.)
- das vom Himmel kommende neue Jerusalem (Apk. 21)
b.b.) Visionen, welche die Zukunft andeutend enthüllen und doch verhüllen, vor allem mittels der Allegorie
Die Allegorie hat ihre Wurzeln in der Prophetie, etwas bei Amos (7. und 8. Kap.), wo der Seher nur einen Gegenstand sieht, der dann eine Bedeutung erhält. (auch Jer. 1,11ff., Sacharias, …) «Die kleinen allegorischen Visionen sind gleichsam die Keimzellen, aus denen allmählich die Apokalypse erwächst». (WB) Aus dem bewegten allegorischen Bilderzyklus entwickelt sich der allegorische Traum oder das in der Vision geschaute Gleichnis wie Apk. 12.
Oft werden die Bilder durch Zahlen zusammengereiht: Drei Reiche, vier Metalle, vier Tiere, vier apokal. Reiter, sieben Siegel, Posaunen oder Zornschalen, sieben Donner, zwölf Vorzeichen des Endes (II Bar. 53ff), ein Adler mit 12 Flügeln (II Bar. 27), siebzig Weltwochen (1. Hen 93) - so entsteht aus der Einzelvision die eine Zeitenfolge umspannende Apokalypse.

Allegorien kann man nach ihrem Gehalt einteilen:
- frei erfundene Allegorien (z.B. die Tiervision im Henochbuch, wo der Reihe nach die Träger der Israelitischen Geschichte als Tiergestalten auftreten) - sie «tragen den Charakter lederner Nüchternheit» (WB) und sind leicht auflösbar.
- Allegorien, die einen bereits gegebenen Stoff verarbeiten (z.B. Daniel 2,31-35, wo der weit verbreitete Mythos von den vier Weltzeiten für die Gegenwart adaptiert wird). - sie lassen sich nicht restlos auflösen, weil die auf eine bestimmte Situation angewendeten Bilder älteren Ursprungs sind, z.B. Apk. 12, das von alten mythologischen Traditionen abhängig ist. Die Exegese muss die älteren Elemente von den neu hinzugekommenen unterscheiden.
Die ganze Geschichte dieser mythischen Allegorien kann oft nur hypothetisch rekonstruiert werden. Die Vorbilder sind nicht nur im AT und NT zu suchen, sie haben ihre Wurzeln weit hinter der Literatur des AT. «Wenn irgendwo, so spielt bei derartigen apokalyptischen, kosmologischen und kosmogonischen Phantasien und volkstümlichen Vorstellungen die Grenze der Nation und der nationalen Religion keine Rolle.» (WB, S. 10) Hier kommt die religionsgeschichtliche Erklärung zu Ehren. (C.G. Jung hat später von Archetypen gesprochen, die sich in allen Zeiten und Kulturen aussprechen.)
«In den volkstümlichen Vorstellungen von den Räumen des Himmels und seinen Bewohnern, von Gottes Thron, von den Toten- und Gerichtsorten, von den sonstigen geheimnissvollen Orten der Erde, von rätselvollen Naturvorgängen, von der himmlischen Stadt und anderem mehr lagert unkontrolliert Altes neben Neuem, Einheimisches neben Fremdem.» (WB, S. 11) Oft verstehen die Autoren ihre Bilder selber nicht (Dan. 11,40ff).

Von der Deutung der allegorischen Geheimnisse
Oft wird die Deutung ebenso feierlich wie geheimnisvoll vorgetragen, oft übernimmt der in der Vision erscheinende Engel die Deutung (Sacharia, Daniel, Apk. Joh 17,1.) Die Deutung ist oft im Rätselstil gehalten, deutet nur an, lässt vieles bei Seite.
Die Johannesapokalypse kennt die richtige Deutung oft nicht. Oft werden nur Einzelheiten im Vorübergehen, oft nur in einem Relativsatz, angedeutet (1,20; 4,5; 5,6; 7,14;11,4; 14,4; 16,14; 19,8; 1913b) - Bousset ist versucht, darin nachträgliche Deutungen zu sehen.
- Halbe Deutung mit neuem Rätsel zur Zahl des Tieres (13,18)
- Eine ausführliche Deutung liegt nur in Kap. 17 vor.

Der Eindruck des Geheimnisvollen wird auch durch Umschreibungen erzeugt, wie z.B. Der «Betagte» für Gott, «einer wie ein Mensch», «der wie ein Mensch gestaltet war», «ein gleichsam geschlachtetes Lamm». Ferner schildert der Verfasser seine Gemütsbewegung (Dan. 10,8f; 12,8f; Apk. 1,17.)
Der Leser selbst soll acht geben: Mt. 13,14; Apk. 13,18; 13,9; 14, 12f.

 

Zur Psychologie des Apokalyptikers und die Pseudonymität

Vision oder Literatur?
Steht er mit einer persönlichen Erfahrung hinter seinen Visionen, hat er sie selber erlebt?
Sind da Exstatiker am Werk oder ist die Vision nur eine literarische Form und Buchweisheit?
Wie können jene Summen von geschauten Einzelheiten und Bildfolgen im Gedächtnis bleiben?
«Es kann sehr wohl angenommen werden, dass eine im Traum oder in der Vision gegebene Grundlage bei der schriftstellerischen Ausarbeitung erst ins Einzelne und Feine ausgearbeitet wurde.» (WB S. 13) Doch der Seher hat seine Vorstellungswelt an eschatologischen Traditionen gebildet, so dass ihn diese auch ins Traumleben und in das Leben visionärer Erfahrung hinein begleitet. Man lebte in einer fieberhaft erregten Zeit, der letzten Zeit, so dass sich Fragen, Wünsche und Hoffnungen in die Zustände jenseits des taghellen Bewusstseins auswirken - obwohl das Dogma vom Ende der Prophetie sprach. Viele Zeugnisse aus gewissen Kreisen und aus dem Volk belegen den Glauben an direkte Offenbarung und Prophetie.

Pseudonymitätlässt auf Literatur schliessen
Viele Apokalypsen seit Daniel tragen allerdings den Charakter der Pseudonymität - Daniel, Henoch, Moses, die Patriarchen Abraham, Isaak, Jakob und die zwölf Söhne Jakobs, Salomo, Jesaia, Jeremia, Baruch, Esra werden in dieser Literaturgattung zu Apokalpytikern. Die Fikton sagt jeweils, dass diese Helden der Geschichte Israels bisher geheimgehaltene verborgene Bücher geschrieben haben, die für die Endzeit bestimmt sind, z.B. Dan. 12,9). Diese Tatsache macht geneigt, hinter den Werken weniger Visionäre Erfahrungen zu sehen als vielmehr eine literarische Gattung. Bousset nimmt an, dass vielfach auch ein Kompromiss von eigenen Erfahrungen und Zeitbewusstsein vorliegt. Weil man damals schon misstrauisch war gegenüber neuen Offenbarungen und der Kanon fast fest stand, ist die Pseudonymität verständlich. War das Kunstmittel der Pseudonymität einmal da, konnte man sich ihm später schwer entziehen.

Die Johannesapokalypse als Literatur und neue Offenbarung
Gerade bei der Johannesapokalypse liegt aber keine Pseudonymität vor. Bousset lässt es offen, ob die Apokalypse nur auf den Namen Johannes hin geschrieben worden ist, oder ein Johannes selber der Autor ist. Als Zeuge tritt ein Mann der unmittelbaren Gegenwart auf und am Schluss (Apk. 22,10) wird ausdrücklich auf die Versiegelung der Worte für später verzichtet. Die Apokalypse ist nicht Buchweisheit, sondern gegenwärtige Offenbarung.
«Die Apokalypse ist geschrieben in eine Zeit, wo man wieder im frohen Bewusstsein lebte, den Geist zu besitzen; den Geist Gottes, der zu den Propheten redet. Und einer abgeschlossenen Offenbarung des alten Testaments ist man im Begriffe eine neue Offenbarung zur Seite zu stellen.» (WB).
Bousset hält jene Bilder und Visionen eher für echt, die knapp und wenig gekünstelt daherkommen, so Teile des Danielbuches. Auch die Johannesoffenbarung mit seiner kunstvollen Komposition erachtet er nicht nur als literarische Produktion. «Von der Johannesoffenbarung als einem Ganzen gilt sicher, dass sie gedichtet und nicht geschaut, dass sie ein literarisches Kunstwerk und nicht ein das Tagebuch eines Visionärs ist. Mit diesem Urteil ist nun aber nicht wieder gegeben, dass hinter einzelnen Gesichten der Apokalypse nicht unmittelbare Erfahrung stände, sei es, dass der Verfasser der Apokalypse selbst einzelne wirkliche Gesichte älterer Propheten in sein Kunstwerk verwoben, sei es, dass er einmal wirklich erlebte Visionen aufgenommen hat.» (Wilhelm Bousset, Seite 16)
Mit der Pseudonymität hängt die Frage der fingierten Zukunftsweissagung zusammen, dass bereits geschehene geschichtliche Fakten als Weissagung von früher ausgegeben werden («vaticinia ex eventu). Bousset sieht darin auch einen Versuch der «Erfassung geschichtlicher Zusammenhänge im grösseren Stil», etwa bei Daniel 2 und 7. Die alte Lehre der vier Weltalter wird auf die Gegenwart angewendet.
Bousset findet die Methode der fingierten Weissagung auch in der Johannesoffenbarung, etwa in Kap. 11, 1-2 und Kap. 12. Der Seher schaue auf die Zerstörung Jerusalems zurück, auf die Geburt Christi und die Verfolgung der Urgemeinde.
Vor allem die zeitgeschichtliche Deutung ist auf solche Anspielungen angewiesen, da sie in der Apokalypse vor allem Geschehnisse aus jener Zeit gespiegelt finden will.
Neben den zeitgeschichtlichen Elementen betont Bousset aber auch andere Hilfsmittel, derer sich der Apokalyptiker Johannes bedient: «Alte geheiligte Traditionen und Bilder, Mythen und mythologische Vorstellungen, die er nicht erfindet, nicht den Verhältnissen seiner Gegenwart entnimmt, und die für alle rein zeitgeschichtliche Deutung unlösbar bleiben. Hier müssen religionsgeschichtliche und psychologische Sichtweisen dazu kommen.

Die Paränese
Als Element der apokalyptischen Literatur erwähnt Bousset auch noch die Paränese, die Anweisung, die in der prophetischen Literatur sehr wichtig ist. Hinweise auf die Pflichten der Frommen sind in der Apokalypse selten. Vielmehr tröstet sie mit Gerichtsbildern und strahlenden Zukunftsbildern. Mit dem Gericht sind aber auch sittliche Momente angesprochen. Neben einzelnen paränetischen Elementen findet sich die Paränese in der Johannesoffenbarung vor allem in den sieben Sendschreiben.

Das Gebet
Oft werden die Schauungen in den Apokalpsen durch Gebete eingeleitet, wie bei Daniel 9. Die Johannesoffenbarung hat keine Gebete, «dafür die zahlreichen eingestreuten keine prächtigen Hymnen, deren Form wohl bereits dem christlichen Gottesdienst entlehnt ist».
Eine besondere Form ist das Klagelied über den Fall Babylons im 18. Kap.

(28.11.05;Ismir

 
 
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