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Probleme der Deutung - das Vorverständnis

Wer Texte verstehen oder erklären will, tut dies mit einem Vorverständnis, mit Voraussetzungen, die jemand mitbringt und in einen Text hineinlegt. Das wird vor allem bei der Auslegung der Apokalypse deutlich.

Zum Vergleich: Wer einen Automotor oder einen Computer verstehen oder gar reparieren will, muss die Mechanik oder Elektronik, die der Maschine zugrunde liegt, kennen. Wer nicht «eingeweiht» ist in diese Geräte, sieht dort vielleicht einzelne ihm bekannten Elemente, wie Drähte, die den Strom leiten oder einen Metallgehäuse, wo die Benzinverbrennung in mechanische Energie verwandelt wird. Doch dieses rudimentäre Wissen reicht nicht aus, um die elektronischen und mechanischen Funktionen zu verstehen oder gar zu beherrschen.

So ist es auch mit dem Verständnis der äusserst komplexen Texte der Apokalypse. Je nach Vorkenntnis über das Alte Testament, über Apokalyptik, Religionsphänomenologie, Zeitgeschichte usw. wird man Elemente und Zusammenhänge sehen und deuten. Die Aussage und Funktion der Apokalypse geht aber über die Benennung und Herleitung einzelner Elemente hinaus. Die Johannesoffenbarung hat den Anspruch, den Gang der Welt im Hinblick auf das überirdische Wirken des auferstandenen Christus im Zusammenhang mit allen himmlischen und irdischen Wesen darzustellen. Die Hauptbotschaften der Apokalypse ist «energetischer Art»: die freudige Nachricht, dass da in der unsichtbaren Welt göttliche Mächte wirken und den Gang der Welt lenken.
Zurück zum Vergleich mit dem Automotor oder dem Computer: Die Apokalypse handelt von dem, was die Welt antreibt, so wie die Verbrennung den Motor oder der Strom den Computer antreibt. Nun kann aber die Verbrennung oder der Strom nur wirksam werden, weil es sich hier um ein von Menschen gebautes Gerät handelt, in dem Energie sich in Bewegung oder sichtbarer Information manifestieren kann. Entsprechend manifestiert sich die göttliche Energie gemäss der Johannesoffenbarung in der Schöpfung, die sich Gott für sein Werk selber geschaffen hat und noch immer erfüllt und lenkt.

Die religiöse Botschaft
Die Botschaft der Apokalypse kann auch aufgenommen werden ohne Kenntnis aller Mechanismen und Gesetze, nach denen die himmlischen Mächte sich auf den verschiedenen Ebenen der sichtbaren und unsichtbaren Welt manifestieren - so wie auch ein Computer oder ein Auto genutzt werden kann, ohne deren Mechanik und Elektronik im einzelnen zu verstehen. In diesem Sinne gibt es eine religiöse Deutung, Verkündigung und Aufnahme der apokalyptischen Botschaft, die in Absehung ihrer weltanschaulichen Elemente quasi die energetische Botschaft extrahiert und diese als das überzeitlich Gültige der Apokalypse sieht. Doch diese religiöse Botschaft der Apokalypse steht dann oft im Kontrast zu den modernen Sichtweisen der Natur oder der Geschichte und steht in Gefahr, unreflektiert Anleihen bei der Weltsicht der Apokalypse zu machen und fundmentalistisch zu argumentieren.

Die weltbildliche Botschaft
So offenbart das letzte Buch der Bibel zum einen die Botschaft von Gottes souveränem Weltregiment, die energetische Seite. Zum andern zeigt es aber auch in fremdartigen und rätselvollen Bildern auf, wie sich diese energetische Seite in der Schöpfung und in der Menschheitsgeschichte auswirkt. Die Apokalypse beschreibt im Weltbild ihrer Zeit eine ganzheitliche Sicht der Weltentwicklung. Sie zeigt die göttlichen Pläne und Ratschlüsse der Welt Gottes und zeigt zugleich, wie diese auf Erden sich manifestieren. Das macht sie aber auf dem Hintergrund einer spezifischen Sicht des Weltganzen als Himmel und Erde. Die frohe Botschaft der Apokalypse von Gottes Regiment konkretisiert sich an einem antiken, altorientalischen, teils «esoterischen» Weltbild, das quasi auch die «geheime Mechanik» für das göttliche Wirken «im Himmel wie auch Erden» aufzeigen kann.
Diese Weltsicht ist zeit- und kulturbedingt, sie spiegelt Welterklärungsmodelle der antiken Welt, wie sie der aus Palästina stammende Prophet Johannes aus verschiedenen Traditionen (Prophetie, Apokalyptik, Astrologie, ...) gekannt haben muss. In diesen ihm vertrauten Traditionselementen haben seine Visionen Ausdruck gefunden.

Kriterien einer religiösen Weltsicht
Dieser weltanschauliche Teil der Offenbarung bereitet der heutigen Auslegung grosse Mühe, da wir kaum mehr ein derart dynamisches und ganzheitliches Weltbild besitzen, mit dem sich die Wirksamkeit Gottes und seiner Engel in der Natur und der Geschichte beschreiben lässt. Denn das Weltbild der Apokalypse erfüllt Kriterien, die moderne Weltbilder in dieser Weise kaum mehr bieten können. Einige dieser Stärken oder Vorteile der antiken Weltschau, die helfen, das Wirken Gottes auf Erden zu beschreiben, sollen an dieser Stelle aufgezählt werden. Es sind dies teils Kriterien an eine Weltsicht, auf die nur schwer verzichtet werden kann, wenn die Botschaft der Offenbarung in ihrer Fülle und Kraft zugänglich werden soll:

Bezügliche des Raums:
- das Schema von zwei Welten, von Himmel und Erde, sichtbarer und unsichtbarer Welt
- die unsichtbare Welt als Aufenthaltsort der Verstorbenen, der Engel und Geister …
- dynamische Zwischenebenen, welche das obere mit dem unteren und umgekehrt vermitteln

Bezüglich der Zeit:
- die Vorstellung eines (göttlichen) Anfangs, einer Gegenwart und eines Ziels der Welt
- Rhythmen und Gesetzmässigkeiten der zeitlichen Entwicklungsschritte
- das Verhältnis (Analogie) von Anfang, erster Schöpfung, neuer Schöpfung und Vollendung

Bezüglich der Rolle des Menschen
- Der Mensch als Mitregent in seinem Verhältnis zur Welt Gottes wie zu Himmel und Erde
- Das Menschenleben mit seinen Werken auf Erden, das für Gott bleibende Bedeutung hat
- Die Existenz, Verwandlung und Teilhabe an Gottes Welt
(4.9.05)

Der Weg und die Meister
Soll die ganzheitliche Sicht der Apokalypse, das Wirken des Göttlichen auf Erden bis zur Aufhebung und Verwandlung der alten Schöpfung für die Gegenwart erklärt und fruchtbar werden, so ist ein Vorverständnis gefordert, dass die oben genannten Kriterien neu und zeitgemäss erfüllt. Ein solches Vorverständnis kann nicht einfach gefordert oder geliefert werden. Es existiert nicht als solches, da jeder Mensch es selber in sich aufbauen muss.
Es geht um Zusammenhänge, Wechselwirkungen und Entwicklungen zwischen oberen und unteren Welten, die nicht in einer Logik aufgehen und auch vom Denken nur nachgezeichnet werden können. Letztlich muss sich der Mensch da selber einbringen als Mikrokosmos. Der Mensch ist selber dieses Vorverständnis, sofern er in sich Oberes und Unteres verbindet und diese Verbindung im Leben fortwährend realisiert. In dieser Realisation gilt es aufzuwachen, sie als Ganze in das Bewusstsein zu heben und so eine ganzheitliche Sicht des Werdens zu gewinnen, in welcher die verschiedenen Dimensionen (Schichten) des Menschen mit jenen der Schöpfung korrelieren und kommunizieren.
Es geht hier nicht um Wissenschaft, sondern um einen Weg, einen religiösen Weg der Verwirklichung, der geistlichen Übung. Ein mystisch, alchemistischer Weg.
Dieser Weg muss nicht erfunden werden. Andere sind darauf gegangen. Da kann man sich anschliessen und lernen. Hier kann ich bloss einige Weltsichten und Schulen nennen, die meiner Ansicht nach dazu beitragen können, eine zeitgemässe Kosmologie anzustreben.
Im Zentrum bleibt Gott in seiner Menschwerdung, welche in der Apokalypse in eigenwilligen Bildern aus der antiken Welt imaginiert ist und auch für die Gegenwart und die weitere Zukunft darin Richtung gebend sein kann. Um diese Zentrum der Menschwerdung kreisen die hermetischen Schulen, welche die biblischen Heilstatsachen initiatorisch und erkenntnismässig auszuführen versuchen.

Im Altertum ist es die Gnosis, welche die Rolle des Menschen im Gang der Entwicklungsschritte von Himmel und Erde im Verhältnis zu dem Wirken der Gottheiten dargestellt hat. Sie geht auf die Hermetik der altorientalischen Kulturvölker zurück. Geheimes Lehrgut aus ägyptischen Einweihungen, aus babylonischer Astronomie oder hellenistischen Mysterien und platonischer Philosophie finden in der Gnosis eine teils christliche Ausrichtung. Von der Gnosis führen über Dionysios Areopagita Linien zum christlichen Mittelalter, zu den Lehren der Rosenkreuzer, zu Jakob Lorber und Rudolf Steiners Anthroposophie. Was Steiner für die Moderne zu begründen versucht hat, eine Wissenschaft des Geistes, die für das moderne individuelle Erkennen die Entwicklung und Stellung des Menschen im Ganzen des Kosmos neu ergründet, ist das hier anvisierte Vorverständnis.

Dieses soll hier neu aus verschiedenen Wurzeln teil angedeutet, benutzt und anhand der biblischen Botschaft aktuelisiert werden. Vor allem das Johannesevangelium mit seinem Logoschristentum bildet die Basis, eine zeitgemässe Erkenntnis des Ganzen aus der Ebenbildlichkeit des Menschen zu begründen. (8.9.2005)

 

 

 
 
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